Käte Hamburger geht davon aus, dass das Präteritum in der epischen Fiktion keine Vergangenheitsbedeutung hat, und macht dieses Paradoxon zu einem der entscheidendsten Merkmale, welche die Sprache der Dichtung (der epischen Fiktion) grundsätzlich von der alltäglichen, nicht-fiktionalen Sprache unterscheiden. In der nicht-fiktionalen Aussage („Wirklichkeitsaussage“) zeigt sich das redende Subjekt immer, wenn nicht direkt als „ich“, so wenigstens als Nullpunkt des Raum-Zeit-Koordinatensystems der Wirklichkeit, auf den sich Tempora und sonstige deiktische Ausdrücke beziehen. Hamburger geht aber davon aus, dass im fiktionalen Erzählen das Aussagesubjekt verschwindet und nicht seine Gegenwart, sondern das Hier und Jetzt der fiktiven Gestalten als Bezugspunkt fungiert. Mit dem Verschwinden des Aussagesubjekts verliert daher das Präteritum die eigentliche Funktion des grammatischen Tempus, einen für das redende Subjekt vergangenen Vorgang oder Zustand zu bezeichnen.
Ihrer Idee vom erzählerlosen Erzählen liegt die Auffassung zugrunde, derzufolge die Aussagen (vor allem die Behauptungssätze) in der Fiktion nur Medien sind, die vom Autor zur Erzeugung der Scheinwirklichkeit eingesetzt werden, wie “Farbe und Pinsel” des Malers. Der Schein wird nicht auf Umwegen erzeugt, d. h. nicht durch einen fiktiven Erzähler, der vom bereits Geschehenen erzählt. Ihre Kritiker wie Franz K. Stanzel sind aber der Meinung, dass die Subjekt-Objekt-Struktur der Wirklichkeitsaussage im fiktionalen Erzählen abgebildet oder fingiert sei. Sie postulieren den Erzähler als eine fiktive Figur, die über Geschehnisse in der fiktiven Welt berichtet und als Träger der subjektiven Erzählperspektive fungiert. In diesem Zusammenhang erscheint das Präteritum der narrativen Aussage als ein zentraler Ort, in dem jene Subjekt-Objekt-Struktur der Aussage abgebildet ist, da es die Vorgängigkeit des Erzählten vor dem Erzählen signalisiert, und so von der Unabhängigkeit des ersteren gegenüber dem letzteren zeugt.
In dieser Arbeit wird die Debatte um das epische Präteritum als Konflikt zwischen zwei widersprüchlichen erzähltheoretischen Grundauffassungen zum Wesen der Fiktionalität und der erzählenden Gattung dargestellt.
Darüber hinaus soll hier auch der Frage nachgegangen werden, ob die beiden Theorien tatsächlich so heterogen und unvereinbar sind, ob kein dritter Weg, der sie in eine Synthese führt, einzuschlagen ist.